MUFF POTTER – Bei aller Liebe – Tour 2023

15. April // Sa. // 20:00 // Saal // Konzert

19:00

Muff Potter
Bei aller Liebe (Hucks Plattenkiste)

Zum ersten Mal seit 2009 gibt es wieder ein neues Album von Muff Potter. Mit dem
am 26. August 2022 erscheinenden »Bei aller Liebe« hat die legendäre Indie-Band
sich selbst und ihre Liebe zur Musik wieder entdeckt. Mit Emphase, Dringlichkeit und
bissiger Zeitgeist-Diagnostik gelingt Muff Potter eine überwältigende
Neupositionierung.
Man muss kein ausgewiesener Band-Romantiker sein, um zu wissen: Es gibt
Konstellationen, bei denen die Summe gewaltiger ist als ihre sprichwörtlichen Teile. So
eine besondere Fügung des Schicksals wurde Thorsten Nagelschmidt, Dominic
Laurenz und Thorsten Brameier bereits vor langer Zeit zuteil. Gemeinsam mit dem
Gitarristen Dennis Scheider gestalteten sie den prägenden Teil der 16 Jahre und
sieben Alben währenden Karriere von Muff Potter. Wenn Menschen sich so lange
kennen und musikalisch blind verstehen, ist das ein kostbares Geschenk.
Im Jahre 2009 offiziell aufgelöst, spielten Muff Potter im August 2018 überraschend
beim antifaschistischen Festival Jamel rockt den Förster, im Anschluss gaben sie ein
paar Tourdaten bekannt. Sieben Shows im Januar 2019, kaum Werbung, keine große
Sache. Dachten sie zumindest, denn nun brach die Hölle los: Sämtliche Shows waren
binnen Minuten ausverkauft und mussten in größere Hallen verlegt werden. Es gab
keine Interviews, keine aktiven Social-Media-Kanäle, keine neue Musik, aber offenbar
eine große Muff-Potter-Sehnsucht da draußen. Auch bei den Musikern selbst, das
wurde jetzt immer klarer. Ebenso klar war ihnen allerdings, dass ihnen Muff Potter zu
wichtig ist, um »ewig die Nostalgiekuh zu melken«, wie Nagelschmidt sagt. Wenn
diese Geschichte wirklich weitergehen sollte, brauchten sie einen echten Grund.
Idealerweise einen künstlerischen.

Die alles entscheidende Frage: Wie kann man als Band, die neun Jahre nicht existiert
hat, überhaupt sinnvoll weitermachen? »Ich wollte auf keinen Fall so tun, als würden
wir irgendwo nahtlos anknüpfen«, sagt Sänger, Gitarrist und Texter Thorsten
Nagelschmidt. Es ging also darum, die vergangene Zeit auf eine Weise sicht- und
hörbar zu machen, dass dabei trotzdem frische, aufregende Musik herauskommt. Im
Hier und Jetzt gültig, aber eben doch: laut und physisch.
Die Frage erledigte sich von selbst, als die Musiker zum ersten Mal mit ihren
Instrumenten in einem Raum standen, um an neuen Songs zu arbeiten. Immer wieder
haben Muff Potter sich in den Jahren 2020 und 2021 zu Probe-Sessions aufs Kulturgut
Haus Nottbeck in Oelde zurückgezogen und dabei Musik auf eine Weise körperlich
erlebt, wie das wohl nur durch die pandemiebedingte Isolation dieser Zeit möglich
war. Die sich daraus ergebende Dringlichkeit übertrug sich automatisch auf die Songs.
»Diese neuen Songs haben für mich den Ausschlag gegeben, unbedingt dabei sein zu
wollen«, sagt Felix Gebhard, der nach Dennis Scheiders Ausstieg die Rolle des zweiten
Gitarristen übernahm.
Produziert hat die Band »Bei aller Liebe« im Studio Nord Bremen – und damit genau
an jenem Ort, wo in einer anderen Zeit in einem anderen Leben das allererste Muff-
Potter-Album gemastert worden war. Das Studio wird mittlerweile von Gregor Hennig
betrieben, der unter anderem Die Sterne und Phillip Boa produziert hat und der sich
als die perfekte Wahl für »Bei aller Liebe« erwies.
»Die meisten Songs wurden live aufgenommen«, sagt Nagelschmidt, »ganz klassisch:
vier Leute in einem Raum, die zusammen Musik machen.« Man hört es überdeutlich:
»Bei aller Liebe« ist von einer überwältigenden Live-Energie durchzogen, man spürt in
jedem Moment das wild schlagende Herz einer Band, die sich selbst und ihre Liebe zur
gemeinsamen Sache wiederentdeckt hat. Immer wieder geht es um musikalische und
inhaltliche Opposition zu Selbstoptimierung und Vereinzelung.
Wie Sound-Design und Text in einer perfekt verzahnten Symbiose aufgehen, zeigt sich
besonders gut in »Nottbeck City Limits«. Während Muff Potter in seliger
Abgeschiedenheit im Kulturgut Haus Nottbeck in Klausur gingen, vollzog sich gleich

um die Ecke in Rheda-Wiedenbrück das Drama des Corona-Skandals bei Tönnies, der
zugleich die menschenunwürdigen Arbeits- und Produktionsbedingungen in dem
Fleisch-Großunternehmen offenbarte. »Man konnte das problemlos ignorieren, wenn
man wollte«, sagt Nagelschmidt. »Ab und zu sah man Transporter, mit denen die
Arbeiter von A nach B transportiert werden, sonst bekam man vom größten
Schlachthof Europas nicht viel mit.« Muff Potter haben es nicht ignoriert, und so
entwickelt sich der wie ein Hörspiel beginnende Song zu einem klassenkämpferischen
Fanal über die tägliche Agonie der geschundenen Tiere und Lohnsklaven.
Eine besondere Rolle in dieser Musik spielt der Bass von Dominic Laurenz, der
spielerisch und hochvariabel immer wieder ungeahnte Räume und Ebenen für die
Gitarren aufmacht, über denen Nagelschmidt seine Vorliebe für eingängige Pop-
Harmonien auslebt. So ergibt sich eine überaus dichte, organische und moderne
Rockmusik, die auf wundersame Weise gleichzeitig komplex und hochmemorabel ist.
Permanent passiert hier etwas, es gibt unzählige wunderbare Details zu entdecken.
Aus alten Fragestellungen und neuen Antworten haben Muff Potter die vielleicht
aufregendste, vielstimmigste Musik ihrer Karriere destilliert. Mit ihrem auf dem
bandeigenen Label Hucks Plattenkiste erscheinenden achten Studio-Album »Bei aller
Liebe« haben sie einen neuen Raum für sich und andere gefunden. Ein Raum, in dem
die Möglichkeiten unendlich erscheinen. Jenseits von jedem und offen für alle.